Artikelbeschreibung
Spuren im Watt
Schon wieder nur Dreck, schimpfen die badelustigen Nordsee-Urlauber und sind bemüht um korrekte Angaben zu den Hoch- und Niedrigwasserständen, damit sie nicht kommen müssen, wenn es sinnlos ist - sofern also nur Schlick, Schlamm, Modder angesagt sind. Stimmt: Pampe, soweit das Auge reicht.Ich suche nach einem Begriff: kunstvoll strukturierte überaus gehaltvolle Pampe? Wobei 'kunstvoll' falsch ist. Mit Kunst hat das nichts zu tun. Kunst ist menschen-gemacht. Das hier ist natur-gemacht. Natur als allergrößte Künstlerin?
Was hier in stetem Rhythmus neu sich bildet, herbei geschwemmt wird, vergeht, verfließt, ist meist von großer Zartheit, fragil, rasch vergänglich, manchmal bereits gestorben. So ist jede Flut ein Lebend- wie ein Totentransport graziler Geschöpfe. Prall von intensivem wie auch bedrohtem Leben, ebenso von gewesenem oder vergehendem. Vertrocknende Hoffnungen kraftloser Quallen im Watt. Verendete Krabben. Trübe Tümpel im Matsch. Trostlos-tristes Trockenfallen ins Graubraune.
Bin ich eine Elendsfotografin?
Mindestens ebenso viel lebt, geht überaus sportlich mit den Gezeiten um, hat sich eingerichtet im ewigen Auf und Ab, dem sogar lebensnotwendig gewordenen: Wattwürmer, kleine Käfer, Austernfischer und Goldregenpfeifer, die im robusten Ufergestrüpp brüten. Oder nehmen Sie meine Glitschschlammlust-Füße.Nein, ich rechtfertige mich nicht. Ich verstehe einmal mehr, wie alles zusammen gehört und wie schön und verletzlich jedes Detail ist, in seinem Drang zu leben genauso wie in seiner Flüchtigkeit, im Verwehen und Verspültwerden.